Gegner_innen der Wahlalterabsenkung nutzen das Strafrecht gerne als Totschlagargument. Aber was hat das Wahlalter eigentlich mit der Strafmündigkeit zu tun?
Wer sich in sozialen Netzwerken mit Aussagen wie „Wir wollen die Demokratie stärken und jungen Menschen mehr Mitbestimmung ermöglichen“ zu Wort meldet, erntet häufig Kommentare wie „Dann bitte Jugendliche genauso bestrafen wie Erwachsene!“ Werden hier nicht Äpfel mit Birnen verglichen?
Grundgesetz: Wahlrecht darf nicht an Bedingungen geknüpft werden
Die Altersgrenzen im Strafrecht stellen einen Schutz junger Menschen dar. Eingeschränkt strafmündig sind junge Menschen schon ab 14 Jahren, voll strafmündig ab 21 Jahren. Das Wahlalter für Bundestags- wie für Berliner Landeswahlen liegt derzeit bei 18 Jahren. Es ist offensichtlich weder an das eine noch das andere Alter gekoppelt und könnte auch genauso gut bei 16 Jahren liegen. Überhaupt: Das Wahlrecht ist laut Grundgesetz ein Grundrecht. Es darf daher an keine Bedingungen gekoppelt werden, wie zum Beispiel ein härteres Strafrecht für junge Menschen. Trotzdem argumentiert auch die Union weiter in diese Richtung:
Übrigens: Das aktive Wahlrecht (also wählen gehen zu dürfen) ist per Grundgesetz für die Bundestagswahlen auf das Alter von 18 Jahren festgelegt und vom Gesetzgeber explizit nicht mit der Volljährigkeit verbunden worden. Das passive Wahlrecht (also gewählt werden zu können) hingegen ist an die Volljährigkeit gekoppelt. Volljährigkeit und Wahlalter für das aktive Wahlrecht haben also laut Grundgesetz nichts miteinander zu tun.
95% Jugendliche werden nicht straffällig, dürfen aber trotzdem nicht wählen
Viele Kommentare in sozialen Medien beklagen sich darüber, dass kriminell gewordene Jugendliche von der Rechtsprechung mit Samthandschuhen angefasst würden und daher auch nicht wählen gehen sollen, ehe das Strafrecht angeglichen sei. Schließlich würden sie ja vom Rechtsstaat noch geschützt und als „unreif“ betrachtet, für ihre Taten gerade zu stehen.
Was braucht man überhaupt für eine „Reife“, um eine Wahlentscheidung zu treffen und haben alle wahlberechtigten Älteren diese Reife überhaupt? Renommierte Jugendforscher_innen betonen seit Jahren, dass Jugendliche mit 16 die nötige persönliche Reife, das politische Wissen und das Interesse haben, um eine Wahlentscheidung treffen zu können. Nur weil sie im Jugendstrafrecht geschützt werden, heißt das nicht, dass sie nicht alt genug zu wählen sind.
Im Übrigen schützt auch das Strafrecht Erwachsene, wenn ihre Schuldfähigkeit beispielsweise durch Drogen- oder Alkoholeinfluss herabgesetzt war. Dieser Schutz besteht im Wahlrecht nicht, auch unter Alkoholeinfluss abgegebene Stimmen zählen bei einer Wahl. Und ist es nicht unfair, dass 16- und 17-Jährige zwar vor Gericht bestraft werden können, die Gesetze nach denen das geschieht aber nicht durch ihre Wahl beeinflussen dürfen?
Nach einer Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts zu Jugendgewalt sind im Jahr 2018 gerade einmal 4,8 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und unter 18 Jahren einer Straftat verdächtigt worden, bei Gewaltstraftaten sind es gerade einmal 0,6 Prozent. Wer argumentiert, dass junge Menschen, die wählen dürfen, auch die volle Härte des Gesetzes spüren sollen, richtet sich dabei auch an den überwiegenden Großteil junger Menschen, die nie straffällig werden und entzieht auch ihnen das Wahlrecht auf dieser Basis.
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