Eine Jugendstrategie für Berlin: „So kompliziert ist es nicht“
- ljrberlin
- 6. Jan.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Aug.

Berlin braucht eine Jugendstrategie. Dann wären bei allen politischen Entscheidungen junge Menschen besser auf dem Schirm. Aber wie sieht der Weg zu einer Jugendstrategie aus und warum ist sie so wichtig?
„Wo hat die Politik Jugendliche nicht mitgedacht?“ Auf farbigen Gesprächskarten liegt diese Frage auf sieben Tischgruppen beim Politischen Abend des Landesjugendring Berlin im Oktober 2024 in Kreuzberg. Rund 100 Gäste haben sich an den Tischen verteilt – eine bunte Mischung an Leuten aus Jugendverbänden, Politik, Verwaltung und Fachpublikum ist heute Abend gekommen. Die Einstiegsfrage zu beantworten fällt den wenigsten schwer: „Bei Kürzungen für Klassenfahrten, beim ÖPNV, in der Drogen- und Wohnpolitik“ melden sie zurück. „Es wird generell viel zu oft über statt mit jungen Menschen geredet“, beklagt eine Teilnehmerin.
Lena und Fabi, die Vorsitzenden des Landesjugendring Berlin, bestätigen diese Eindrücke in ihrem Input: „Es gibt aktuell so viele Krisen, die Jugendliche ganz direkt betreffen. Bei den gefällten politischen Entscheidungen haben sie leider ständig das Gefühl, übersehen worden zu sein“, sagt Lena. Diesen Zustand belege auch die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“. Einen „pragmatischen Optimismus“ bescheinigt der Jugend dagegen die Shell Jugendstudie 2024. Die Angst der jungen Generation vor Krieg in Europa (81%), Armut (67%) und sozialer Ungleichheit (63%) sind darin allerdings erschreckend hoch. „Wir brauchen endlich mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung und wir müssen die Themen junger Menschen viel besser wahrnehmen und was draus machen“, fordert die Vorsitzende.
Mit einer Jugendstrategie gegen Frust und Unsicherheit
Diese Wahrnehmung zieht sich auch durch die anschließende Diskussion auf dem Podium. „Die Unsicherheit unter jungen Menschen ist aktuell enorm“, sagt Sarah Schulz, Straßensozialarbeiterin bei Gangway. „Zur Inflation und der Wohnkrise kommen auch noch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Das sind alles drängende Themen für junge Menschen.“

Jana Pohl aus dem Landesjugendring-Vorstand bestätigt das: „Junge Menschen sind häufig viel besser informiert als Erwachsene, die bloß einmal am Tag die Tagesschau sehen.“ Jugendliche bekämen oft viel direkter mit, was in ihrem direkten Umfeld passiert, grade über soziale Medien – beispielsweise queerfeindliche, rassistische oder sexistische Übergriffe auf Berlins Straßen. „Weil kaum jemand auf ihre Ängste und Sorgen reagiert, sagen sich viele junge Menschen: Mir hört ja eh niemand zu, ich schluck‘s einfach runter“, beklagt Jana.
"Jugendliche sind nicht nur da, um in Zukunft Erwachsene zu sein und dann erst wichtig zu werden." Nils Rusche, Arbeitsstelle Eigenständige Jugendpolitik
Erwachsene müssen die Jugend viel mehr als eigenständig wahrnehmen, betont Nils Rusche von der Arbeitsstelle Eigenständige Jugendpolitik auf dem Podium: „Jugendliche sind nicht nur da, um in Zukunft Erwachsene zu sein und dann erst wichtig zu werden. Sie brauchen jetzt schon gute Lebensbedingungen.“ Dafür müssten alle politischen Ressorts an einem Strang ziehen. „Jugend spielt in allen Politikbereichen eine Rolle. Viele wissen das nur noch gar nicht“, so Rusche. Junge Menschen müssten spüren, dass sie überall berücksichtigt werden, wo politische Entscheidungen einen Einfluss auf ihr Leben haben – um nicht mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht von Politik frustriert zu werden. Daher brauche es eine Jugendstrategie, meint Nils Rusche.
Wie kommen wir denn jetzt zu einer Berliner Jugendstrategie?
Das Ziel einer Jugendstrategie: Kinder und Jugendliche bei allen Entscheidungen in allen politischen Feldern zu berücksichtigen - egal ob es dabei um Wohnen, Sicherheit, die Gestaltung des öffentlichen Raums, Arbeit und Ausbildung, Kultur oder sichere Fuß- und Radwege geht. Denn jede einzelne Entscheidung der Politik hat auch immer ganz direkte Auswirkungen auf das Leben junger Menschen. Damit junge Berliner*innen gut aufwachsen können, müssen alle Ressorts für gute Rahmenbedingungen sorgen und zusammenarbeiten. Seit 2018 hat der Bund bereits eine Jugendstrategie, umgesetzt von der damaligen Jugendministerin Franziska Giffey. Weitere Ansätze gibt es in Brandenburg, Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die letzten Berliner Regierungen haben sich die Jugendstrategie zwar stets in die Koalitionsverträge geschrieben, umgesetzt wurde bisher jedoch nichts.
Die Jugendstrategie kann man nicht einfach nur bei der Jugendverwaltung abladen – alle Senatsverwaltungen müssen dafür zusammenarbeiten.
Unterschiedliche Instrumente können den Weg zur Jugendstrategie ebnen: Eine Senatsvorlage würde den Startschuss geben, gefolgt von einer interministeriellen Arbeitsgruppe des Senats und einem Beirat, in dem sowohl Jugendliche als auch Fachleute vertreten sind. Ein Kinder- und Jugendbericht würde die Grundlage für Maßnahmen schaffen, die dann zu einem Senatsbeschluss führen könnten – der Berliner Jugendstrategie. Schon vorher könnte der Jugend-Check aus dem Koalitionsvertrag starten: Jedes Gesetz würde damit vorab auf seine Auswirkungen auf junge Menschen geprüft.

„Eigentlich ist das alles gar nicht so kompliziert“, sagt Fabi. Der Landesjugendring Berlin hat die nötigen Schritte auf Flyern und seiner Website zusammengestellt, die Informationen an Politik und Verwaltung gesendet und fordert, jetzt „vom Reden ins Handeln“ zu kommen.
Von Wohnen bis soziale Sicherheit: Alle Ressorts sind gefragt
An Thementischen ging es beim Politischen Abend nach der Diskussion genau um die einzelnen Felder, bei denen junge Menschen viel mehr berücksichtigt werden müssen. Ob Wohnen, Ausbildung, Klimawandel, Diskriminierung oder Armut: Junge Menschen berichten auf diesen Gebieten von ihren Problemen, Erfahrungen und ihrem Engagement. Dabei wurde allen Teilnehmenden des Politischen Abends eines klar: Die Jugendstrategie kann man nicht einfach nur bei der Jugendverwaltung abladen – alle Senatsverwaltungen müssen dafür zusammenarbeiten.
Gerade in den Austauschrunden wird deutlich: Eine Jugendstrategie ist dringend nötig, wenn Berlin eine gute Jugendpolitik machen will. Ansonsten werden Interessen und Bedürfnisse junger Menschen zu oft ausgeblendet oder vergessen. Es ist an der Zeit, dass die Regierung von CDU und SPD ihre Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag angeht – und die Berliner Jugendstrategie nun auch umsetzt. Ein Vorschlag, welche Schritte dafür aufeinander folgen müssten, liegt seit dem Politischen Abend jedenfalls auf dem Tisch.
In 6 Schritten zur Berliner Jugendstrategie:

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